Buchtipp des Monats September 2023

© erf

Nachrichten aus dem Inneren von Bäumen und Steinen

Was geschieht, wenn man ein Gedicht pflanzt? 

Cees Nooteboom: In den Bäumen blühen Steine. Die erdachte Welt von Giuseppe Penone, Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen.

Diesen Juli hat Cees Nooteboom seinen 90. Geburtstag gefeiert. Mit seinem jüngsten Werk „In den Bäumen blühen Steine“ hat er seinen Lesern sowie sich selbst ein Geburtstagsgeschenk par excellence gemacht. Wer den Kosmos dieses poetischen inneren Dialogs des Dichters Cees Nooteboom mit dem 76jährigen italienischen Künstler, Skulpteur, Bildhauer und Landartist Giuseppe Penone betritt, wird Zeuge einer unsichtbaren Wahrheit in einer Welt beseelter Entitäten, in der Bäume, Flüsse und Steine ihre ganz eigene Wirklichkeit entfalten. Eine Wirklichkeit, gespeist von erweiterter Wahrnehmung, die sich der Stille verdankt und erlaubt, einzutauchen in die tiefe Verbundenheit des Menschen mit der Natur, die uns die Mechanik, Unerbittlichkeit und Rasanz digitaler Prozesse, die gegenwärtig den Takt vorgeben, zu verwehren scheinen.

 

Anlass der Auseinandersetzung war eine Retrospektive im Museum Voorlinden in Wassenaar bei Den Haag des Werks von Giuseppe Penone (Oktober 2022-Januar 2023). In Vorbereitung derselben erhielt Nooteboom die Nachricht von der Direktorin des Museums, dass Penone sich von dem dichterischen Werk Nootebooms hätte inspirieren lassen. Beide Künstler hatten sich einst flüchtig kennengelernt, sich dann aber aus den Augen verloren. In einem handgeschriebenen Brief auf Italienisch vom 8. Juli 2022 teilt Penone Nooteboom mit, dass er für den Ausstellungs-Katalog einige seiner Gedichte ausgesucht habe.

 

Dies wiederum war für Nooteboom der Beginn einer tiefgreifenden Recherche nach gemeinsamen Wurzeln der beiden Künstler und Großmeister ihres Fachs. Gelegenheit dazu verschaffte ihm kurz nach Eintreffen besagten Briefs eine umfangreiche Sendung aus Turin voll mit kleinen Essaybändchen über das Werk Penones, die ihn in dessen Sommer-Haus auf Menorca erreichte.

 

Bewegt von der Tatsache, dass Jahre, nachdem Penone seine Gedichte rezipiert hatte, diese in dessen Skulpturen und Natur-Artefacte eingeflossen waren, begibt sich Nooteboom auf Spurensuche und damit zugleich auf eine Reise ins Innere, inspiriert allein von besagten Essaybändchen mit etlichen Aufnahmen von Kunstwerken Penones. Dessen Werk aus einfachsten Materialen – Bäume, Steine, Metall –, der Arte Povera zugeschrieben, korrespondiert mit der Poesie Nootebooms nicht zuletzt im Hinblick auf ihrer beider Naturverbundenheit.

 

Letztere ist bei Penone insofern stark ausgeprägt, als sein Großvater Bauer, Penone auch auf dem Land aufgewachsen war. Die Verbundenheit des Bildhauers und Skulpteurs mit der Erde, dem Ursprung der Materie, diese unmittelbare Berührung dessen sinnlicher Kunst, die sich ertasten lässt, löst eine gewisse Eifersucht aus in Nooteboom. Als Künstler, Dichter, der mit Worten jongliert, die, weniger greifbar, mehr der Sphäre des Geistes und damit der des Denkens zugeschrieben sind, vermisst er besagte Unmittelbarkeit der Berührung. Dies wiederum kompensiert er in der Verbundenheit mit der Natur im Garten seines Sommerhauses, wo er den Leser etwa durch seine Kakteensammlung führt, oder ihm die Palmen, die er selbst gepflanzt hat, nahebringt. Aber auch Steine hat er gesammelt. Mitbringsel aus zahlreichen Reisen rund um den Globus. Mit ihnen sucht er das Zwiegespräch, überlegt, ob sie manchmal an ihn dächten, und macht uns glauben, auch Steine seien Wesenheiten, in denen Geschichte und Geschichten schlummern, die sich dem erschließen mögen, der sich ihnen öffnet.

 

Zu diesen wiederum zählt Penone, dessen gesamte Kunst als Art Zwiegespräch mit der Seele von Bäumen, Steinen und Metall interpretiert werden kann, in das Wind und Fluss als Skulpteure eingebunden sind. Eben dies erweist sich dann auch als verbindendes Element zwischen dem Dichter Nooteboom und dem Bildhauer, Skulpteur, aber vor allem Landartist Penone.

 

Die Faszination dieses Textes Nootebooms liegt im Zauber seiner geistigen Frische. Dies wiederum mag sich seiner Offenheit und der Weisheit verdanken, sich als 90jähriger weniger aufs Altenteil zu besinnen, als vielmehr als „Entdeckungsreisender“ durch das Werk Penones zu begeben. Mit unverbrüchlicher Neugier und einem tiefen Wissen um die Unsagbarkeit von Wahrheiten, die sich dem Verstandesbewusstsein entziehen. „Liebe allein in den Dingen, aus Wolken und Winden geschnitzt.“*

*Cees Nooteboom in dem Gedicht BASHŌ I

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!                                    Archiv

 

Unser Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Suhrkamp Verlag, Berlin 2023

 

 

Buchtipp des Monats Mai/Juni 2023 nicht nur für Junge Leser

 

© Hartmut Fanger:

Der Traum vom Fliegen oder was es bedeutet, ein Vogel zu sein ...

Tom Birkhead (Text), Catherine Rayner (Illustration): „Aus der Vogelperspektive – Von rodelnden Raben, plappernden Papageien und tricksenden Rothühnern“ aus dem Englischen von Rita Gravert, Hanser Verlag, München 2023

Wie und wo leben Vögel. Und was heißt es überhaupt, fliegen zu können. Diesen Fragen sind der renommierte Ornithologe Tim Birkhead und die preisgekrönte Illustratorin Catherine Rayner in einem so hinreißend schönen wie farbigen und äußerst informativen zugleich leicht verständlichen Band nachgegangen, der sich durch bestechende Naturverbundenheit und vor allem dem liebevollen Blick auf diese Tierart auszeichnet. Rund um die Welt. Von Nordeuropa bis Neuseeland, von Alaska bis zur Antarktis und Südpolmeer, von Asien bis nach Großbritannien.

Dabei werden nicht nur die außergewöhnlichen Leistungen der Vögel  transparent gemacht. Wie zum Beispiel das kleine Rotkehlchen, das aus England im nahenden Winter teils um den halben Globus nach Afrika fliegt, um dort Nahrung zu finden, und das – einem geheimen Kompass zufolge –  im darauffolgenden Frühjahr wieder zum Herkunftsort zurückfindet.  Oder Vögel, die über ein außerordentliches Sehvermögen verfügen und dabei auch noch unglaublich schnell sein können, wie der Wanderfalke. Von dem Raben, der nicht nur ‚ungeheuer intelligent’, sondern auch noch verspielt ist, ganz zu schweigen.

Nehmen wir darüberhinaus am Tanz der Gelbhosenpipra-Männchen tief im Regenwald Süd- und Zentralamerikas teil oder an einer „Chorprobe“ der Flötenkrähenstare in Australien, erleben wir, wenn der „Honiganzeiger“ ein Nest von Wildbienen Afrikas ausmacht oder der in Nordamerika und Europa aufzufindende Specht sich einen Baum auswählt und aufmerksam macht, dass sich hier alle fern halten sollen, indem er ‚energisch auf Holz klopft’ und, und, und.

Das Buch ist ein großer Spaß nicht nur zum Schmökern, Blättern, Entdecken, Erfreuen, sondern auch zum Lernen. Wir können für diese Lektüre nur dankbar sein.                                                                                              Archiv

Unser  Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Hanser Verlag in München

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