Sachbuchtipp des Monats Dezember 2022
© Hartmut Fanger
Springsteen als Poet, Chronist und Erzähler der US-amerikanischen Gesellschaft
marcus s. kleiner: bruce springsteen, Reclam-Verlag, Ditzingen 2022
Rechtzeitig vor Beginn der Europatournee Springsteens im nächsten Jahr ist das 100 Seiten umfassende Büchlein „bruce springsteen“ von Marcus S. Kleiner im Reclam Verlag erschienen. Bereits das ästhetisch ansprechende Art Cluster auf dem Cover führt in medias res des Künstlerlebens des „Boss‘“ mit den Schwerpunkten „American Dream“, „E-Street-Band“, „Vietnam“, „Nine Eleven“. Nicht zu vergessen, „Berlin-Weißensee“.
Der Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft Marcus S. Kleiner erzählt, wie er, der damals von Springsteen wenig überzeugt war, dann von einem Freund eines Besseren belehrt und vom einstigen Kritiker zum Fan wurde. Ein persönlicher Zugang zu Musik und Philosophie des Ausnahmemusikers, der sich stets als Komplize der Arbeiterklasse empfindet, sich für die Demokraten, gegen Rassismus und Gewalt und Krieg engagiert, von seiner Freundschaft zu Barak Obama ganz zu schweigen. Gut nachvollziehbar schildert Kleiner all das, was das Faszinosum Springsteen ausmacht. Von dessen unverkennbar rauen Stimme, die leidenschaftlich und tiefgründig Emotionen freisetzt, bis hin zu dem Wir-Gefühl gegenüber seinen Fans, das jedem vermittelt, dazuzugehören.
Nicht zuletzt weist Kleiner darauf hin, dass in all den Liedern Springsteens, die seine oft über drei Stunden andauernden Konzerte füllen, häufig jene Seite Amerikas zur Sprache kommt, die eben nicht in Hochglanzprospekten Einzug gehalten hat. So, wenn darin zum Beispiel von gescheiterten Existenzen, kaputten Beziehungen, Armut, Arbeitslosigkeit und Rassismus die Rede ist. Dementsprechend spielen die in den Songs nach Vorbild des Storytelling erzählten Geschichten oft im Dunkeln. Wie die Nacht eine überhaupt bei Springsteen beliebte Metapher darstellt, was in vielen seiner Songs bereits in der Überschrift zum Tragen kommt, wie „Spirit In The Night“, Because The Night oder „Night“. Allein schon von daher kommt der Superhit „Dancing In The Dark“ nicht von ungefähr.
Sehr schön listet Kleiner entsprechende Springsteen Songs jeweils am Ende eines Kapitels vor dem Hintergrund der Graphik einer Musikkassette als Tipp für eine „Musikpause“ auf. Songs etwa wie „Born To Run, „Born In The USA, „Thunder Road“, The River“, „Blood Brothers“, die Unzählige auf der Welt belgeitet und begeistert haben. Dabei versteht es der Autor mit spielerischer Leichtigkeit, gesellschaftspolitische wie kulturelle Hintergründe und musikalische Eigenheiten des Liedermachers und Geschichtenerzählers Springsteen lebendig werden zu lassen. Ebenso dessen Nähe zum Film. Wie auch so mancher Kritiker das Filmische in den erzählten Geschichten seiner Lieder hervorhebt, was in „Streets of Philadelphia“ besonders zum Ausdruck kommen mag und wofür Springsteen einen Oskar für die beste Filmmusik erhalten hat. Wie er sich überhaupt vor Preisen für sein musikalisches Werk kaum retten kann: Schallplatten in Platin und Gold, Grammys, um nur einige hier aufzuzählen, die Aufnahme in die Hall of Fame.
Aus heutiger Sicht von besonderem Reiz die Schilderung von Springsteens Aufenthalt in Ost-Berlin Weißensee, dessen Konzert kurz vor dem Mauerfall 1989 dazu beigetragen haben mag, das Fass zum Überlaufen zu bringen, wenn er vor Hunderttausenden die Hoffnung zum Ausdruck bringt, „dass eines Tages alle Barrieren abgerissen werden“. An seine Mitstreiter Wolfgang Niedecken, Thees Uhlmann und Werner Pastula, denen Kleiner in zahlreichen Gesprächen so manche Insiderinformation entlockt hat, appelliert er, es sei ‚an der Zeit, einen Song mit dem Titel Geboren in der BRD zu schreiben’, was wiederum zu denken gibt.
Musik- und gesellschaftshistorisch auf den Stand gebracht, gewährt das fundierte Büchlein weiteren Einblick in den US-amerikanischen Traum im Werk Bruce Springsteens.
Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!
Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns herzlich beim Reclam-Verlag
Sachbuchtipp des Monats November 2022
© Hartmut Fanger.
Anlässlich der Europa-Tournee 2023
reloaded: Bruce Springsteens Songtexte
in ihrem literarischen Gehalt
Leonardo Colombati: Bruce Springsteen - Like a Killer in the Sun” Songtexte, aus dem Italienischen von Johannes von Vacano, Songtexte übersetzt von Heinz Rudolf Kunze, mit einem jeweiligen Vorwort von Ennio Morricone, Wolfgang Niedecken und Dave Marsh, Reclam-Verlag, Ditzingen 2017
Im Sommer 2023 ist es soweit: Der Boss kommt anlässlich seiner bevorstehenden Europa-Tournee auch nach Deutschland. Ein Grund mehr, noch einmal den bemerkenswerten Essay- und Song-Text-Band des Reclam-Verlages hervorzuheben. Auf wohlgemerkt 960 Seiten (!) gewährt dieser einen tiefen Einblick in das Werk des so vielfältigen wie außergewöhnlichen US-amerikanischen Liedermachers und Rockpoeten – von Jazz, Free-Jazz bis Country und Folk, von Rock’n Roll bis vor allem Rock. Wobei den Schwerpunk Colombatis, seines Zeichens Romanautor und Journalist, der literarische Gehalt der Song-Texte Springsteens bildet. Zusehends kristallisiert sich im Zuge dessen heraus, dass Springsteens literarisches Vermögen sich sehr wohl am Werk von Schriftstellern des Rangs eines Herman Melville oder Walt Whitman messen lässt, von dem Nobelpreisträger und Liedermacher Bob Dylan ganz zu schweigen, wie ihm auch von Literaten wie Richard Ford, Stephen King oder Don DeLillo, um nur einige zu nennen, nicht wenig Anerkennung gezollt wird.
Gründlich recherchiert, akribisch genau und wissenschaftlich fundiert die Ausführungen Colombatis, der, der Hermeneutik verpflichtet, von Grund auf Leben und Werk Springsteens analysiert, die sich oftmals kaum voneinander trennen lassen. Dabei liefert er jede Menge Hintergrundinformationen, wie etwa Springsteens Herkunft aus New Jersey, Kindheit und Jugend, erhellt die häufig politisch ambitionierten Liedinhalte, bringt überdies seine Kompositionswut und die unermüdliche Feinarbeit an den Texten nahe, die bis zur totalen Erschöpfung heranreichende Bühnenarbeit. Nicht selten dauern seine Konzerte mehr als dreieinhalb Stunden. Immens das Repertoire an Songs. Darunter Superhits wie „Born to Run“, „The River“, „Thunder Road“, „Human Touch“, „Born in the USA“, bis hin zur Film-Musik zu „Streets of Philadelphia“. Die Bandbreite der darin verhandelten Themen unerschöpflich. Von Seite zu Seite erweist sich zugleich die literarische Qualität seiner Songs. Springsteen praktiziert in seinen Liedern das längst auch vom Journalismus adaptierte Storytelling, erzählt Geschichten, die sich, obschon in sich geschlossen, wiederum einer Chronologie gleich von Album zu Album erschließen.
Aus einfachen Verhältnissen stammend – Geld war knapp –, bleibt Springsteen in seinen Song-Texten, wo es häufig um soziale Dramen mit strauchelnden Helden geht, bei seinen Wurzeln, setzt sich damit auseinander. So avanciert er überdies zum Chronisten der Kehrseite des US-amerikanischen Traums. Nicht bedient wird das Amerikabild etwa des US-Präsidenten und Republikaners Ronald Reagans, wie uns von Fernsehserien, Filmen oder der Werbung präsentiert. Seine Texte handeln von Menschen, die aus einem ‚Öden Land’, „Badland“, kommen – dem im Übrigen die Verszeile “Like a Killer in the Sun“ für den Titel des Buches entnommen wurde –, von Menschen, die in „Backstreets“, sprich Seitenstraßen, leben und für ihren Unterhalt körperlich hart arbeiten müssen. Und sie handeln von Menschen, die ihren Job verlieren, wie in „The River“, oder kriminell und sozial geächtet auf der Straße landen, wie „Outlaw Pete“. Andere seiner Songhelden wiederum sind im Begriff, aus von Rezession, Arbeitslosigkeit und Verfall betroffenen Städte zu fliehen. Und natürlich äußert er sich musikalisch zu welterschütternden Ereignissen wie Nine Eleven, so etwa in „My City of Ruins“, sowie zunehmend sozialen Problemen wie ‚Armut, Polizeigewalt und Rassismus’, besungen in Titeln wie „This Hard Land“, „Lost in the Flood“, „Skin to Skin“ oder „Murder incorporatet“. Doch so gebrochen das Amerika-Bild in seinen Songs auch sein mag, vermittelt Springsteen stets auch Hoffnung – „Better Days“, „Land of Hope and Dreams“ oder einmal mehr in Anbetracht von Nine Eleven „The Rising“. Sage und schreibe 100 Songs werden hier im Original und in der Übersetzung von keinem anderen als Heinz Rudolf Kunze, seines Zeichens selbst erfolgreicher Musiker, Liedermacher und Komponist, vorgestellt.
Doch damit nicht genug, enthält der Band überdies aus der Feder Colombatis den Essay „Der große Amerikanische Roman“ sowie eine Biografie, gefolgt von Diskografie und umfangreichem Anmerkungsapparat samt Werkverzeichnis. Dazuhin eine Fülle nachweisbarer Zitate des Boss‘ sowie Wegbegleitern und Kollegen – neben keinem Geringeren als Barack Obama, Autoren, Literatur- und Musikwissenschaftler, Größen aus der Musikindustrie, u.a. Mick Jagger, Bob Dylan oder John Lennon, von Tom Waits, David Bowie oder Neil Young. Ein Höhepunkt die „Festrede zur Aufnahme Springsteens in die Rock and Roll Hall of Fame“ von Bono aus dem Jahre 1999. Der Leser darf sich hier rundum versorgt fühlen.
Unsere Empfehlung: Schon jetzt an Weihnachten denken. Ein Buch nicht nur für Springsteen-Fans, sondern
auch jeden Musik- und Literaturliebhaber und ein Muss für alle, die eine der im Nu ausverkauften Karten für eines der begehrten Konzerte im nächsten Jahr ergattert haben. Nicht zuletzt spricht
dafür der Sonderpreis von 20 €.
Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl! Archiv
Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns herzlich beim
Reclam-Verlag.
Demnächst als Buchtipp bei schreibfertig auch: „bruce springsteen“ von marcus s. kleiner in der „100 Seiten“-Reihe des RECLAM-Verlages, Ditzingen 2022.
Siehe auch unseren Buchtupp zum Dezember 2021: Barack Obama § Bruce Springsteen: Renegades - Born in the USA":
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