© Hartmut Fanger
Sex, Drugs and Rock’n Roll“ im Altenheim
Alan Bennett: SEE YOU LATER, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2025. Aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Hierzulande bekannt vor allem von seiner Liebeserklärung an Queen Elisabeth II in „Die souveräne Leserin“, schildert der inzwischen neunzigjährige Erfolgsautor pointenreich, mit Witz und morbidem Charme, wie in einer britischen Altersresidenz die Zeit ‚totgeschlagen‘ wird. Dementsprechend ironisch bereits der Titel des ersten Teils des Buches, „SEE YOU LATER“, treten die Bewohner doch in der Regel alters- und naturgemäß von der Bühne des Lebens ab. Ein ‚see you later‘ scheint daher eher fragwürdig. Nicht zuletzt ruft der Titel den Rock’n Roll-Hit von „Bill Haley and his Comets“ aus den fünfziger Jahren, „See you later Alligator“, auf den Plan, was auch die Abbildung des Covers mit Alligator im Hintergrund bestätigt.
Rock’n Roll per se hat ja schon etwas Revolutionäres, ein Aufbegehren gegen bestehende Verhältnisse. Dementsprechend auch das Ansinnen der Bewohner der Altersresidenz. Die Kräfte lassen nach. Der Bekanntenkreis schrumpft. Im Heim steht der routinierte Tagesablauf im Vordergrund. Vom Fußnägel- und Haareschneiden bis hin zur Einhaltung der Essenszeiten. Da bietet sich bei den Verbliebenen Sex als willkommene Abwechslung an. Und sei es durch das Wahrnehmen der einschlägigen Angebote des hiesigen Fensterputzers. In der Regel heimlich, wovon letztendlich jedoch jeder weiß. Zugleich sitzt den unzüchtigen Alten angesichts der Strenge des betreuenden Personals die Angst vor dem sozialen Abstieg im Nacken, am Ende in Low Moor zu landen. Low Moor, das in der Nähe liegende Altersheim, wo die weniger Wohlhabenden als in „Hill Top House“ ihr Dasein fristen und wogegen man sich abzugrenzen hat. In besagter Gemengelage versprechen, neben anderen Vergnügungen, unermüdlich bestückte Puzzlebilder Zerstreuung ... Das Ganze mit Ironie bis an die Grenze von Sarkasmus zur Sprache gebracht.
Dann bricht Corona aus. Das Personal dezimiert, alles ist anders. Nicht ohne schwarzen Humor schildert Bennet die Naivität der Insassen, mit dem Virus umzugehen, ihn zu ignorieren oder sich freiwillig und panisch in selbstgewählte Isolation zu begeben. Der Tod geht reihum … Doch was daraus wird, soll hier nicht verraten werden.
Das anschließende „Pandemietagebuch“, zugleich Zeitdokument unter dem Titel „Hausarrest“, gewährt uns Einblick, wie es dem Autor durch Einhaltung von Hygienemaßnahmen, trotz der Unfähigkeit der Regierung und im Schatten ungewollter Isolation, gelingt, kreativ zu bleiben, etwa von der Begegnung mit Graham Green zu erzählen oder von seinem Haus, in dem neben anderen schillernden Persönlichkeiten auch Barbra Streisand weilte … Alles in allem ein wahres Lesevergnügen!
Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!
Unser Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Klaus Wagenbach SALTO-Verlag, Berlin!