Buchtipp des Dezember 2021-Januar 2022

 © Erna R. Fanger  

Eine skandalöse Erzählung*

Fjodor M. Dostojewski: Aufzeichnungen aus dem Untergrund. Aus dem Russischen übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Ursula Keller. Manesse Bibliothek. Manesse Verlag, München 2021.

Anlässlich des 200. Geburtstags des Autors am 11. November 2021 offeriert uns der auf Klassiker der Weltliteratur spezialisierte, renommierte Manesse-Verlag mit besagten Aufzeichnungen ein attraktives Kleinod von einem Büchlein. In elegantem Dünndruck mit attraktivem Cover, gut in der Hand liegend.

Ursprünglich unter dem Titel „Eine Beichte“ erschienen, vernehmen wir hier die kompromisslos martialische Stimme des zivilisationskritischen, mit der modernen Welt hadernden Antihelden. Eines Exzentrikers und Egomanen – zugleich begeisterter Anhänger der Literatur der Romantik und der Philosophie des Idealismus –, der in seiner Entlarvung der „Diktatur der Vernunft“ vom Leder zieht. Niedergeschrieben zu Beginn 1864 in wenigen Wochen und unter dem Damokles-Schwert des nahenden Todes seiner Ehefrau, die im April desselben Jahres an Tuberkulose verstirbt. Bereits im Mai und Juli erscheinen die ersten beiden Teile in der Zeitschrift Epoche. Mit Verve stellt er Zivilisation, Rationalität und den Fortschrittsglauben der Moderne infrage. Der Mensch sei nicht vernünftig und sein Handeln nicht nutzbringend, sondern von Emotionen gesteuert, die ihm und der Gesellschaft sogar Schaden zufügen könnten.

Des Weiteren geht es um wenig glückliche Begebenheiten und Begegnungen aus seiner Jugend. Situationen, in denen er sich unterlegen fühlte. Kompensieren tut er dies hoch zu Ross, nicht ohne beißenden Spott, indem er die einstigen Weggefährten demütigt. Im Gestus überlegenen Hochmuts lässt er seine Leser wissen: „Ich bin allein, und sie sind alle“. Zu Lebzeiten Dostojewskis kaum wahrgenommen, trat die Bedeutung des Texts für das Gesamtwerk im Hinblick auf die bissig und skrupellos zur Sprache gebrachte Zivilisationskritik erst spät zutage. Heute gilt er als Wegbereiter für seine späteren großen Romane. Für Nietzsche „ein wahrer Geniestreich der Psychologie“, für Nabokov wiederum „die Quintessenz Dostojewski‘schen Gefühlschaos“.

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!                                          Archiv

 *Was schreibst du für eine skandalöse Erzählung?“ Appolinaria Suslowa im Juni 1864

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Manesse-Verlag!

 

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