Anlässlich des Todes von John le Carré im  Dezember 2020 unser Buchtipp vom November 2016:

© Hartmut Fanger:  

WAHRE GESCHICHTEN DES MEISTERSPIONS

John Le Carré: Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben, aus

dem Englischen von Peter Torberg, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016

 

Ein Buch nicht nur für John-le-Carré-Fans, sondern für alle, die, über dasLesevergnügen hinaus, etwas über das Schreiben aus eloquenter Feder erfahren und sich mit dem Schriftstellerleben an sich beschäftigen wollen. So wird der Leser hier Zeuge, wie sich die unterschiedlichen Leben John le Carrés, als Spion einerseits, als Schriftsteller andererseits, miteinander verweben und dabei zutage tritt, wie er zu so manch brisantem Stoff seiner Thriller-Romane gekommen ist. Insbesondere von „Der Spion, der aus der Kälte kam’, und „Dame, König, As, Spion“, die bereits preisgekrönt verfilmt wurden. Und natürlich werden ebenso wie in seinen fiktiven Erzählungen auch hier sogenannte Überläufer, Maulwürfe und Doppelagenten thematisiert. 

 

Dabei gibt Le Carré grosszügig Auskunft darüber, welche schriftstellerischen Tricks er angewandt - und wie überhaupt er das Schreiben erlernt hat. Der große Autor Graham Greene zum Beispiel, von dem er viel profitiert hat, wird immer wieder zitiert. Eine Fülle von Episoden, in sich abgeschlossen, von reißerischer, spannender und brisanter Dramaturgie, ziehen den Leser in den Bann. Zugleich ein Stück Zeitgeschichte, so unterhaltsam wie aufrüttelnd vor Augen geführt: vom kalten Krieg nach 1945 bis hin zu dem tödlichen Attentat auf John F. Kennedy, von Gorbatschow und Mauerfall, von der Begegnung mit dem schillernd in Szene gesetzten PLO Chef Arafat bis hin zum 11. September 2001, von Guantánamo bis zu Edward Snowden. Faszinierend und exotisch muten die Erlebnisse in der Opium-Höhle von Laos an, die Mission in Hongkong oder Phnom Penh sowie die zahlreichen Reisen zu den Brennpunkten der Welt: Beirut, Moskau und Jerusalem. Dabei stoßen wir immer wieder auf eine außerordentliche, nahezu unglaubliche Vielfalt menschlicher Existenz aus einer Perspektive eines Geheimagenten, die dem Durchschnittsbürger in der Regel verschlossen bleibt. 

 

Darüber hinaus zeigt John le Carré auf, dass er als Brite, einst in Oxford dem Studium der Deutschen Sprache und Literatur verschrieben, sehr wohl bewandert war in den „Dramen von Goethe. Lenz, Schiller, Kleist und Büchner“, er von Thomas Mann und Hermann Hesse schwärmt und sich nicht zuletzt in Deutscher Geschichte auskennt. Sei es, wenn er von den Verbrechen des Nationalsozialismus vor und während des Zweiten Weltkriegs, insbesondere von Konzentrationslagern, berichtet. Oder wenn er nach dem Zweiten Weltkrieg beanstandet hat, dass ‚die alte Nazi-Garde sich auch weiterhin an die besten Posten klammerte’ und unter Adenauer üble Gesetze schuf. Von der daraus resultierenden Gegenbewegung und der radikalisierten Bader-Meinhof-Gruppe mit ihrer Roten-Armee-Fraktion ganz zu schweigen. Historie wird bei John le Carré dann besonders plastisch, wenn er entscheidende Momente in Szene setzt. So zum Beispiel, als der einstige Kanzlerkandidat der SPD, Fritz Erler, zur Adenauerzeit den damaligen scheidenden britischen Premierminister Macmillan trifft und diesen in dessen Beisein angesichts seiner Einschätzung der Atomwaffenpolitik der USA als ‚nicht regierungsfähig’ einstuft.

 

Doch damit nicht genug. Immer wieder spannend lesen sich auch die Begegnungen mit zeitgenössischer Prominenz, insbesondere aus demFilmgenre. So etwa mit den Schauspielern Richard Burton oder Alec Guinness, den Carré in einem Geleitwort porträtiert. Des Weiteren das Zusammentreffen mit den Regisseuren Sydney Pollack oder Francis Ford Coppola. Unvergesslich das Zusammentreffen mit Fritz Lang, als im Zuge dessen sich immer deutlicher abzeichnet, wie der einst gefeierte Regisseur von „M“ mit Peter Lorre als Kindsmörder, „Metropolis“ oder „Dr. Mabuse“ in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, nun, Mitte der sechziger Jahre im hohen Alter, der Blindheit nah, nicht mehr gefragt war, dies jedoch nicht wahrhaben wollte. Le Carré nahm ihm diesen Glauben nicht, als sie auf Wunsch Langs zusammenkamen, um aus dem „Kleinen Buch Ein Mord erster Klasse einen Film zu machen. Lang indessen gab sich, entgegen den auch äußerlich sich manifestierenden Zeichen des Niedergangs, wie eine Diva.

 

Besonders nah kommt der Leser dem Autor, wenn er von seinem Vater erzählt, den er bei dessen Vornamen „Ronnie“ nennt und als „Hochstapler, Phantast“ und „immer wieder mal Knastbruder“ bezeichnet. Dieser Ronnie hatte seinem Sohn keine glückliche Kindheit beschert und seine Mutter schon früh veranlasst, ihren nichtsnutzigen Gatten samt ihm, seinem Sohn, zu verlassen. Erst nach dessen Tod war es John le Carré möglich, sich mit ihm zu versöhnen. Obschon ‚er manchmal noch immer der Berg’ sei, ‚den es zu bezwingen gilt’.

 

Ein Buch, das sich von der ersten Seite an packend liest und das man bis zur letzten Seite nicht mehr loslassen kann.

Aber lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!

 

Unser herzlicher Dank für das uns freundlicherweise überlassene

Rezensionsexemplar gilt dem Ullstein-Verlag!

Anlässlich des Todes von John le Carré unser Buchtipp aus dem Jahre 2016
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